Rechtspartei oder Volkspartei? Elsässers Rede, 2. Teil

Redemanuskript Jürgen Elsässers auf der Promo-Veranstaltung von COMPACT-Magazin, 6.12.2010 in Berlin (2. Teil) (Foto: JF)

(Den 1. Teil von Elsässers Rede finden Sie hier) Hier beginnt der 2. Teil:

Die Unzufriedenheit ist groß, das zeigt Sarrazins Erfolg. Doch wie soll man die Unzufriedenen sammeln? Dafür gibt es zwei Modelle.

Das eine ist das Modell einer Unabhängigkeitspartei nach dem Vorbild der britischen  UKIP: Unter ihrem rhetorischen Sturmgeschütz Nigel Farage gelang ihr bei den Europa-Wahlen 2009 auf breiter Ebene ein Einbruch in bürgerliche Wählerschichten. Mit 16,5 Prozent wurde UKIP hinter den Konservativen die zweitstärkste Kraft auf der Insel. Die Souveränität Großbritanniens bildet bei UKIP den programmatischen Rahmen, der unterschiedliche Strömungen zusammenhält. Im Rahmen dieses Souveränismus werden auch die Probleme der Immigration angesprochen und, als wichtiger Unterpunkt, die der Immigration aus islamischen Ländern. Hier fordert UKIP eine klare Begrenzung. Aber nicht „Ausländer raus aus unsrem Land“, sondern „Unser Land raus aus der EU!“ ist das Panier, mit dem Farage seine Wahlsiege erficht. Der Kampf gegen die Brüsseler Kommissare steht im Vordergrund, nicht der Kampf gegen den Islam.

Das zweite Modell ist eine Anti-Islam-Partei nach dem Beispiel der niederländischen Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders. Auch damit kann man Wahlerfolge erzielen, wie Wilders gezeigt hat. Doch man muss sich über die Konsequenzen dieser Schwerpunktsetzung im Klaren sein: Wer „den“ Islam als unser Problem oder gar als das Hauproblem sieht, wird sich nicht auf die Wiederaneignung nationaler Souveränitätsrechte etwa zur Steuerung der Immigration beschränken können. Vielmehr wird er auf einer glitschigen Rutschbahn Platz nehmen, die ihn in die weltweite Front gegen den Islam führt – wofür dann schnurstracks weitere Souveränitätsrechte an die Kommandeure dieser Front abgegeben werden müssen. Nicht die Verteidigung Deutschlands, sondern die Verteidigung US-amerikanischer Ölinteressen in Nah- und Mittelost ist der Fluchtpunkt dieser Politik, und ihr Lackmustest wird die deutsche Unterstützung für israelische Bomben auf Teheran sein.

Die Alternative, ob eine neue politische Kraft eher nach dem Farage-Modell als Unabhängigkeitspartei oder eher nach dem Wilders-Modell als Anti-Islam-Partei ausgerichtet werden müsste, ist noch kaum herausgearbeitet. Manche sehen das auch gar nicht als Entweder-Oder. Nehmen wir die Vorgänge in Berlin im Spätherbst 2010, die im weiteren Verlauf der Geschichte zwar nur eine Fußnote bilden werden, aber doch als Fallstudie für die Riffe unter der von Sarrazin ausgelösten Diskurs-Welle taugen. So mag man dem CDU-Dissidenten René Stadtkewitz gerne zubilligen, dass er sich von Wilders bei der Taufe seiner Freiheits-Partei nur deswegen helfen ließ, weil er nicht früher von Farage kontaktiert wurde. Israel-Liebesbekundungen erscheinen Moderaten wie ihm vielleicht nur als probater Schutzschild, um Unterwanderung durch Rechtsradikale aus DVU und NPD abzuschrecken – auf hartgesottene Antisemiten wirkt Wilders Davidstern wie das Kruzifix auf Vampire. Das Problem bei diesem allzu trickreichen Kalkül ist, dass man über das Schwenken israelischer Fahne zwar die eine Sorte Extremisten abschreckt, aber eine andere anzieht, die im Hier und Heute – wir leben ja nicht mehr in den dreißiger Jahren! – noch gefährlicher ist: die eliminatorischen Zionisten und weltkriegsgeilen Neokonservativen. Der vergleichsweise harmloseste Rekrut dieser Truppe ist Aaron König,  anfänglich Stadtkewitz‘ Nummer zwei, der seine Karriere bei der Piratenpartei beenden musste, nachdem er die Bombardierung des Iran gefordert hatte. Gefährlicher ist schon Eliezer Cohen, der von Stadtkewitz als Co-Referent bei Wilders‘ Auftritt in Berlin eingeladen worden war. Nichts hätte dagegen gesprochen, durch einen Redner aus Israel historische Verantwortung zu demonstrieren. Doch Cohen ist kein Vertreter der israelischen Friedensbewegung, noch nicht einmal der durchaus zionistischen Arbeitspartei – sondern er gehört zur Partei von Außenminister Avigdor Lieberman. Diese Partei träumt offen von der Deportation nicht nur der Palästinenser, sondern auch der arabischen Staatsbürger Israels, und wird auch in der dortigen Presse als „rassistisch“ oder „faschistisch“ bezeichnet. Das Maß voll macht die Anwesenheit von Daniel Pipes auf dem im engsten Kreis angesetzten Gründungstreff der Stadtkewitz-Partei. Pipes gehört zu den härtesten Falken der Bush-Ära, die jeden Krieg gegen islamische Staaten propagandistisch rechtfertigten. Im Frühjahr forderte er Präsident Obama auf, den Iran anzugreifen. Er unterstützte die Wilders-Partei angeblich mit fünfstelligen Beträgen. Nun hat er bei der Berliner Freiheit angedockt. Aber wohin wird deren Reise gehen, wenn sie einen Steuermann hat, der nicht deutsche, sondern US-amerikanische und zionistische Interessen verfolgt – und zwar in deren extremster Variante? Entsteht auf diese Weise nicht statt einer Volkspartei doch eine Rechtsaußenpartei? (Teil 2 Ende // Der Vortrag wurde frei gehalten und wich in Formulierungen, nicht aber in der Stoßrichtung von diesem Manuskript ab)

Mehr zum Thema in der Startausgabe von COMPACT. Dort findet sich der Aufsatz von Jürgen Elsässer „Rechtspartei oder Volkspartei“ und Andrea Riccis Essay „Wilders – Israels Mann in Europa“. COMPACT bestellen und abonnieren kann man hier.

Ein Gedanke zu „Rechtspartei oder Volkspartei? Elsässers Rede, 2. Teil

  1. Was ich positiv herauslese aus diesem Artikel:
    – nicht einfach unreflektiert gegen den Islam vorstoßen
    – sich auch nicht vor die anti-islamischen Karren diverser Interessengruppen spannen lassen.

    Ich würde mir allerdings wünschen, daß der geforderte Reflektionismus auch auf die Prämissen angewendet wird.

    Das ist mir allzu positivistisch, was da gesagt wird: der Erfolg Sarrazins Aussagen bzw. seines Buches gibt ihm ja irgendwie recht. Der Erfolg der Partei UKIP steht doch für etwas. Da ist doch was…!

    Aber was ist da? Ich sehe verdammt viel Rauch und wenig Feuer. Hier zur Abwechslung mal etwas wissenschaftlich belegtes.

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    (1. Artikel von Wippermann / Flaig)

    Ob sich was ändern muß, da kann man gerne drüber reden. Und der Fortbestand etablierter Parteien ist mir diesbezüglich völlig wurscht.
    Aber ich sehe das „Integrationsproblem“ nicht als solches an. Vielmehr sehe ich ein Segmentierungsproblem zw. der Gesellschaft und den Machtausübenden darin. Die Migranten sind nur der Sündenbock.

    Burka, Kaftan, Kopftuch: so funktioniert Stigmatisierung

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